Sonntag, 29. Januar 2012

Ulrich und Kleist exkulpieren das Videospiel als Ermöglichungsfeld des "anderen Zustands"


Flow-Maschinen zu Zeiten Musils; Foto: Joachim S. Müller
Videospiele werden -- wie andere alternative und scheinbar zweckfreie Zeitvertreibe auch -- oft der tumben Lebenskonsumption verdächtigt. Ulrich möchte das nicht tolerieren und wirbt nach einer entsprechend intensiven Selbsterfahrung für das lebensergänzende Potential des Videospiels (nebenbei entpuppt sich Musil dabei auch als feinfühliger Flow-Psychologe ["Flow" = "Das reflexionsfreie gänzliche Aufgehen in einer glatt laufenden Tätigkeit, die man trotz hoher Anforderungen unter Kontrolle hat"; vgl. Csikszentmihalyi, Rheinberg]:
Ihr Reiz liegt auch wirklich darin, daß man in einem kleinsten Zeitraum, mit einer im bürgerlichen Leben sonst nirgendwo vorkommenden Schnelligkeit und von kaum wahrnehmbaren Zeichen geleitet, so viele, verschiedene, kraftvolle und dennoch aufs genaueste einander zugeordnete Bewegungen ausführen muß, daß es ganz unmöglich wird, sie mit dem Bewußtsein zu beaufsichtigen. Im Gegenteil, jeder Sportsmann weiß, daß man schon einige Tage vor dem Wettkampf das Training einstellen muß, und das geschieht aus keinem anderen Grund, als damit Muskeln und Nerven untereinander die letzten Verabredungen treffen könne, ohne daß Wille, Absicht und Bewußtsein dabeisein oder gar dreinreden dürfen. Im Augenblick der Tat sei es dann auch immer so, beschrieb Ulrich: die Muskeln und Nerven fechten mit dem Ich; dieses aber, das Körperganze, die Seele, der Wille, diese ganze, zivilrechtlich gegen die Umwelt abgegrenzten Haupt- und Gesamtperson wird von ihnen nur so obenauf mitgenommen [...] und wenn dem einmal nicht so sei, wenn einmal auch nur der kleinste Lichtstrahl der Überlegung in dieses Dunkel falle, dann mißlinge regelmäßig das Unternehmen.
(Roberts Müsli - Ein Mahl ohne Cerealien)
In ähnlicher Richtung -- nur etwas weniger optimistisch -- suchte schon Kleist einen Weg zurück ins unbewusste Glück intensiv involvierenden Erlebens:
Ich sagte, daß ich gar wohl wüßte, welche Unordnungen, in der natürlichen Grazie des Menschen, das Bewußtsein anrichtet. [...] Wir sehen, daß in dem Maaße, als, in der organischen Welt, die Reflexion dunkler und schwächer wird, die Grazie darin immer strahlender und herrschender hervortritt.
(Kleist, Über das Marionettentheater)
Dazu ein musikalischer Kommentar von Haruomi Hosono, einem Chiptune-Pionier der ersten Stunde:

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