Dienstag, 7. April 2015

"Wer andere einen Hegel schilt, ist selbst so ein gEsell."

Über das seltzame Schicksal des teutschen Sprach-geprängs


"Wie des Mahlers Farb-gemeng /
So ist unser Sprach-gepräng"
Bei der Lektüre von Grimmelshausens Deß Weltberuffenen SIMPLICISSIMI Pralerey und Gepräng mit seinem Teutschen Michel (1673) können dem aufmerksamen, philosophisch nur gar so einigermaßen geschulten Leser ein paar gewisse Wunderseltzamkeiten auffallen, die gehörige Rätsel aufgeben. Dieser Text, geschrieben aus der Perspektive des Signeur Meßmahl, befasst sich satirisch mit der Frage, ob und inwiefern das Erlernen von Fremdsprachen im Allgemeinen und der Gebrauch von Fremdwörtern im Besonderen von Nutzen sei. Ergebnis: Fremdsprachen zu lernen sei in jedem Fall gut und zivilisierend, der übermäßige Gebrauch von Fremdwörtern zu Zwecken der Pralerey unnütz und plump (wo sie allerdings Spaß machen, witzig sind und vom Anwender verstanden: prima), Versuche, die Sprache von fremden Einflüssen rein und sauber zu halten seien dagegen rettungslose Albereyen. 

Bei der Lektüre des Schriftstücks fällt allerdings  vor allem denjenigen wenigen, die bisher dachten, die deutsche Redewendung des "an und für sich" basiere auf einer Verbreitung und Vulgarisierung des Hegelianismus  auf, dass dem so ganz gar nicht nicht der Fall sein kann, Hegel zu Zeiten Grimmelshausens vielmehr schon vollständig vorerfunden, vor-, zuende- und weitergedacht war. Deutlich wird dies zunächst an folgender, auf den ersten Blick recht unscheinbarer Passage: 
Also ist mir hingegen unmöglich das Lachen zu verhalten / wann ich sehe / wie hochtrabend ein Teutscher herein tritt / so bald er nur ein wenig von unserer Nachbarn zusammen geflickten Sprachen verstehen und daher lallen kan! ob sie gleich unserer vollkommenen in / an / und vor sich selbst bestehenden Teutschen Helden-Sprach weder an Güte noch Alterthumb das Wasser nit zu bieten vermögen. 
Wer der vollkomminin Teutschen Helden-Sprach beherrscht, und wann er auch noch so ein Manns-Mensch sei, der merkt sofort, dass hier doch wohl gewaltig was im Busch brennt. Vor allem wird noch schneller klar, dass Hegel, der sich zur Zeit seines Schaffens leider mit einer schon beinahe vollkommen verknöcherten und durchkodifizierten Sprache konfrontiert sah, offenbar nur noch zwei drittel der ganzen Wahrheit zur Verfügung standen. Und so ist neben den Kategorien des Ansichseins und des Fürsichseins die Kategorie des Insichseins in seinem Werk im Großen und Ganzen doch schon so ziemlich stiefmütterlich behandelt. [Obwohl, vielleicht, nagut...]. 

Eingehendere Untersuchung förderte sodann zutage, dass die zitierte Passage nicht die einzige explizite Hegel-Vorwegnahme in dem kleinen Texterl ist. An einer Stelle, an der Signeur Meßmahl dazu anhebt, "von einer dritten Gattung Sprach-Helden" zu handeln  welche, "damit jeder Bänne [Geselle heißt das wohl, d.V.] wisse / was sie vor gelehrte / erfahrne und viler Sprachen kündige Leuth seyen / [...] beydes ihre Reden und Schrifften / wann es gleich gantz ohnnöthig / dermassen mit fremden Wörtern anfüllen / verbremen und außspaffiren", dass selbst Calepinus sich ihnen als Dolmetscher angeboten hätte  bemerkt der Autor:    
Ich bin auch so freygebig / dieselbe von meinen tractamenten nicht außzuschliessen / die ihre aigne angeborne teutsche Tauff- und Zunamen verlateinisiren oder gantz Griechisch dargeben; und ob sie gleich einige deßwegen anfechten: und ihnen vorwerffen wolten / daß sie hierdurch ihren Vatterland die Ehr stehlen / und solche anderen Nationen anhencken / daß es so erleuchte Männer an ihnen geboren und hervor gebracht (massen die Nachwelt auß denen verunteutschten Namen / die sie ihren Schrifften vorzusetzen pflegen / sie mehr vor Griechen oder Lateiner / als geborne Teutsche halten würdet) so seynd sie mir doch liebe Gäst; stehets doch einem jeden frey / sich einen Hegel schelten zulassen / warumb solten wir uns selbst dann unser Gebühr nit gönnen?
Auch zu Grimmelshausens Zeiten konnte man sich also bereits einen Hegel schelten lassen / und zewar enich zu kenapp. Was allerdings für Grimmelshausens Zeitgenossen ein rechter Hegel war, das lässt sich nicht so ohne weitres gar so leicht nicht eruirn. Ob Hegel am Ende gar etwa möglicherweise bloß eine verspätete, nachträgliche Erfindung des Verfassers des Simplicianischen Zyklus gewesen wäre, stand zunächst völlig außer Frage. Es bedorfte daher schon einiger Recherchen, um Licht in das Dunkel dieser doch recht curiosen Nachträglichkeit zu tragen.

Glücklicherweise fanden sich schließlich in Grimms Wörterbuch unter dem Stichwort "Hegel" folgende Einträge:
1) stier, zuchtstier, vergl. unter taurus sp. 151. schweiz. hegi zuchtstier Tobler 260b. 
2) narr, querkopfschweiz. hegel, baurenhegel grobian Stalder 2, 30; im Aargau wird der eigenname Heinrich in den spottnamen Heichel, Zürih-Hegel 'querkopf' umgesetzt. Rochholz bei Fromm. 6, 458b; es rührt das mundartliche verbum hegeln, 'hernehmen, mit worten oder schlägen, auf eine niedrige art foppen' (Stalder a. a. o.), bair. hegeln zum besten haben, aufziehen, necken (Schm. 2, 164), schwäb. hegen plagen (Schmid 268) an; als die den hegel gefoppet (officiere einen neuen ehemann), er würde mir (der frau) die hosen lassen müssen. Simpl. 3, 40 Kurz. 
3) vielleicht hieran anschlieszend wurden in Nürnberg die öffentlichen spruchsprecher, gelegenheitsdichter der niedrigsten art hegel, hegelein genannt (neben hängelein sp. 439): noch auch ungepeten nyemant zu essen geben sollen, dann pfeifern, hegeln und pusawnern, die inn auf dieselben zeit zu dem tanz hofieren und dienen. Nürnb. polizeiordn. 90; dem hegelein, der zum tanz ledt. s.79; dem hegelin. s. 91. 
4) hegel, schweizauch eine schlechte art zulegemesser, mit hölzernem griff. Stalder 2, 30. Tobler 260.
Was ein rechter Hegel ist, war also damals wie heute offenbar schon auf recht ähnliche Weise klar. Und wäre ja dann doch wohl recht besehen von Hegel selbst sich selbst und seinem ihm in sein eigenes Schicksal schon vorweglaufenden Namen gegenüber eine historisch recht gerechte Geste, sich da mit seinem Hegel-Werk "sichselbstsetzend" und zugleich "sichanderswerdend mit sich selbst" in / an / und vor sich selbst so deutlich in die Stelle hineinzuhegeln, die ihm sein Name in der Sprache so schön vorgezeichnet hat.
Ja / möchte mancher sagen / soll man drumb keine Sprachen lernen / sonder ein unwissender gEsell bleiben / wie du villeicht einer bist?
Wahrscheinlich lieber nicht.

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